Wir lassen die Sau raus
Einkauf im Sportgeschäft. Erfolgreich. Ich brauchte dringend neue Wanderschuhe. Trotz Lieferengpässen gab es meine Größe. Die kostspielige Bezahlung war abgewickelt. Und dann passierte es: Oh! Ich stelle fest, dass ich heute leider meine Extratasche nicht dabei habe. Also benötige ich eine Tüte aus dem Geschäft. Die Verkäuferin nickt.
Statt einer Tasche aus Papier zieht die Verkäuferin eine rot-weiß-schwarze Plastiktüte unterm Tresen hervor. Erst beim Verlassen des Fachgeschäftes sehe ich die Aufschrift: „Wir lassen die SAU raus!“ In Großbuchstaben prangt das Wort SAU samt einem roten Schwein mit Ringelschwänzchen auf der Tüte. Die Sau grinst zufrieden. Puh. Will ich damit durch die Stadt laufen??? Peinlich berührt klemme ich die Tüte unter den Arm und verstecke die Aufschrift. Schade, dass ich die Schuhe nicht ohne alles mitgenommen habe.
Wer braucht schon die Sau?
Unterwegs frage ich mich: Wie kommen wir dazu, die Sau rauslassen zu wollen? Die meisten von uns haben ja nicht mal mehr einen Hasenstall daheim…. Die Herkunft dieser Redeweise wird unterschiedlich gedeutet. Stammt sie daher, dass sich früher betrunkene Studenten auf dem Heimweg von ihrer Zechtour einen bösen Spaß erlaubten, Schweineställe öffneten und quickende Schweine in alle Richtungen davonrennen ließen? Oder wurden im Mittelalter Schweineställe leer gemacht für große Partys, weil die Räume in den winzigen Häusern zu klein waren?
So oder so - fast jeder weiß heute, was mit der Redeweise gemeint ist: So richtig einen draufmachen. Es krachen lassen und auf den Putz hauen. Mal alle Zurückhaltung fallen lassen und auf den guten Ton pfeifen. Im schlimmsten Fall wird samt der Sau auch noch die Wut ungezügelt rausgelassen. Dabei können die armen Schweine gar nichts dafür, dass sie sprichwörtlich geworden sind. Man sagt, sie seien kluge Tiere mit Sozialverhalten, ja, sogar mit einer Form von Empathie für ihre Artgenossen.
Die Sau im Improvisationsworkshop
Ausgelassen feiern kann wunderbar sein. Der eine oder andere mag es, auch mal über die Stränge zu schlagen. Oder die eigenen eng gesetzten Grenzen zu erweitern. Eine wohlerzogene Freundin verwendete die Redeweise kürzlich nach einem musikalischen Improvisationsworkshop. Aus ihrem Mund klang es ungewohnt, doch ich verstand sofort. Sie hatte es genossen, sich nur von der Musik inspirieren zu lassen, statt streng nach Noten zu spielen. Ihre „Sau“ war nur die innere Erlaubnis, dem eigenen musikalischen Gespür und der Gruppendynamik zu vertrauen.
Advent zwischen Konsum und Einkehr
Im Advent könnte es nicht nur Thema sein, was wir „rauslassen“, sondern auch, was wir „reinlassen“. Keine Angst, ich denke jetzt nicht an Kalorien. Die adventliche Zeit ist in unseren Breiten Genuss- und Schlemmerzeit, da dürfen es gern ein paar Köstlichkeiten mehr sein. Lebkuchen, Stollen & Glühwein, lecker!
Ich frage mich eher, was wir innerlich „reinlassen“ - In unsere Gedanken, Hoffnungen und Lebenspläne. Advent heißt Ankunft. Was kommt? Wer kommt? Nicht nur unser Bauch schreit nach etwas Gutem. Auch unser Herz. Es will genährt werden. Weder Black Friday Rabatt noch ein Glühweinumtrunk können das wirklich bieten. Deshalb sind alte Traditionen und Lieder des Advents darauf ausgerichtet, auf Empfang zu gehen. Vielleicht meldet sich die Sehnsucht gerade jetzt auch bei Dir.
Advent - Das Gegenteil vom Sau-raus-Gedöns
In einem Adventslied heißt es:
„Macht die Bahnen gerade,
lasst die Umwege sein,
füllt die Schluchten der Verzagtheit und Furcht.
Reißt die Berge und Hügel des Hochmuts ein,
ebnet holprige Wege und horcht, denn es hallt:
Das Heil Gottes erscheint aller Welt!“
Ja, Jesus Christus wurde in einem Stall geboren. Die christliche Erzähltradition lässt sogar Ochse und Esel an der Krippe stehen. Und später? Hat Jesus nicht die Sau rausgelassen, sondern mit Weisheit, Güte und seinem persönlichen Opfer die Welt verändert. Deshalb liebe ich die adventliche Stille. Mit Kerzen und Sternen. Und mit der Zuversicht, dass Gottes Heil auch uns erreichen will.
Gesegnete Adventszeit!
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